In den letzten Monaten schwanke ich immer zwischen zwei Stimmungen. Zwischen Motivation und Frust. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt und das wortwörtlich. Wenn Menschen mir Stolz erzählen, dass Sie jetzt Bambuszahnbürsten kaufen oder weniger Fleisch essen ist das gut und wichtig und richtig, keine Frage. Deswegen sage ich meistens: „Ja, klasse das du anfängst dich damit auseinanderzusetzen. Jeder Schritt zählt!“ Mein Kopf schreit aber im gleichen Moment: “Das reicht verdammt nochmal nicht!” und ich frage mich ehrlich: Warum verdammt nochmal erst jetzt?
Damit meine ich nicht diejenigen, die sich Non-Stop für ein anderes wichtiges Thema einsetzen, sondern jene absolut ignoranten, nicht empathischen und egoistischen Menschen, welche vom aktuellen System profitieren und „die sich nicht einschränken wollen“. Das sind fremde Personen, mit denen man nur mal kurz ins Gespräch kommt, Arbeitskollegen, mit denen man Projekte abwickelt und Freunde, welche sonst ja wirklich liebenswürdig sind. Meistens möchte ich am liebsten nur schreien „Wacht endlich auf! Wir sitzen alle im selben Boot!“ Doch ich schreie es nur innerlich. Maximal noch gegenüber Freunden oder der engen Familie. Es geht nicht mehr.
Neue Berichte sagen, dass die Permafrostböden in der kanadischen Arktis bereits jetzt so stark abgeschmolzen sind, wie Sie es für 2090 vorausgesagt haben. (Quelle) Ganz nebenbei kann man dann noch erwähnen, dass es aktuell so warm ist wie seit 5000 Jahren nicht mehr. Dieses Thema steht nicht auf den großen Titelseiten. Es wird nicht groß getönt, dass wir wahrscheinlich aktuell die ersten Kipppunkte erreichen. Kipppunkte, bei denen es kein Zurück mehr gibt und die uns schnurstracks in eine humanitär absolut unvorhersehbare Situation katapultieren. Dabei ist es ein Thema, welches uns alle verdammt nochmal in helle Aufregung versetzen sollte!
Von der Brisanz des Klimawandels wissen wir seit Jahren, die Thematik eines sich verändernden Klimas und potenziellen Konsequenzen ist seit den 80ern bekannt. Wir haben es immer wieder verdrängt aber spätestens seit Fridays for Future kommen wir nicht mehr drumherum. Politiker drucksen herum und sehen tatenlos zu, Schüler rebellieren friedlich und der Großteil der Deutschen bleibt vollkommen unbeeindruckt. Einschränkung und so.
Mir wird in diesen Situationen, wenn ich meiner Wut und dem Klimafrust nicht mehr zurückhalten kann, fehlende Empathie vorgeworfen. Ich solle mich nicht so haben. Jeder fängt mal irgendwo an. Jeder macht es in seinem Tempo. All diese Einwände mögen ihre Berechtigung haben, aber ganz ehrlich? Nö. Ich bin stinkwütend, denn ich habe jedes Recht dazu stinkwütend zu sein und du verdammt solltest es auch sein! Wütend auf Politiker die nicht handeln, wütend auf Unternehmen die nur den kurzen Profit und wütend auf Menschen die nur ihr eigenes Wohl sehen. Ich versuche es witzig zu machen mit „ich radikalisiere mich“ und lache oder kann mich mal tatsächlich mal zusammenreißen und sage nichts, aber es ist mir todernst. Wer das radikal nennen möchte, der mache das bitte und schließe sich mir an.
Denn jetzt mal ganz ehrlich: Ich esse auch gerne Fleisch. Auch ich fliege wahnsinnig gerne an neue Orte. Genauso gehe ich gerne shoppen, lebe gerne mein Leben bedenkenlos und mag es unkompliziert. Auch ich nehme diese massiven Einschnitte vor. Denn es geht nicht mehr ohne massive Einschnitte in unserem aktuellen Leben. Ja, ist scheiße. Ja, wollen wir alle nicht hören. Ja, finde ich auch doof. Ja ist aber essenziell wichtig, wenn wir auch nur ansatzweise überleben bzw. in Europa nicht von Klimaflüchtlingen überrannt werden wollen. Nur um mal wieder egoistisch zu denken. Klimaschutz ist kein Ponyhof.
Warum ich mich so aufrege? Ihr versaut nicht nur eure Zukunft, sondern auch meine und die aller die aktuell noch keinen Einfluss darauf nehmen können. Wir baden jetzt das aus was vorherige Generationen angefangen haben und wir bis jetzt weiterführen. Mit jedem Stück Fleisch, jedem Flug, jedem neue Kleidungsstück, jedem Kilowatt vom unökologischen Stromanbieter, jedem neuen Kind, jedem neuen Haus und jedem „ich kann ja eh nichts ändern“ besiegelt jeder von uns unser Schicksal nur weiter. Hallo Attention-Behaviour Gap. Ich wäre dann jetzt auch fertig mit dir.
Was mich ebenfalls nervt: Das wir alle von Einschnitten reden.
Doch was ist denn mit den Möglichkeiten? Was ist, wenn wir
uns endlich mal von dem kurzfristigen Denken in dem wir gefangen sind loslösen?
Von der Idee irgendeiner aberwitzigen Gewinnmaximierung und unendlichen
wirtschaftlichen Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen trennen?
(Wer glaubt überhaupt an den Quatsch?)
Wo gewisse Einschnitte und Reduzierungen bedeuten, dass wir endlich unser Leben entschleunigen, weil wir aufhören materiellen Dingen hinterherzurennen? Wo wir weniger Geld brauchen, weil wir mehr selbst machen können und unser Ego nicht mehr nach mehr Besitz schreit?
Wo wir gesünder sind, weil wir weniger bis gar keine tierischen Produkte essen?
Wo das Einzige was weiterhin problemlos grenzenlos wächst unser Wissen ist?
Es ist eine Veränderung der gesellschaftlichen Werte, kein Einschnitt in dem Sinne und erst recht kein Rückschritt. Die Wahrheit lässt sich aber auch nicht in bunte (Instagram-)Bilder und das aberwitzie Versprechen verpacken, dass sich nichts ändern müsse. Doch für unsere Zukunft lohnt es sich zu kämpfen und dafür werde ich weiterkämpfen. Dafür müssen wir alle kämpfen und dafür müssen wir auch „Einschnitte“ vornehmen. Wacht endlich auf!
PS: Gerne möchte ich euch den Text and Herz legen, welcher mein emotionales Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die deutsche Variante findet ihr hier.
Vielen Dank an Domenika Dorothea für das Bild!
1 comment
Hallo, Klimafrust habe ich auch. Kapitalismus und Klimaschutz geht nich zusammen.
Zuerst müsste der Geldstrom neu geregelt werden. Mit der heutigen Technology
ist es möglich u.a. ein Gesetz: Technik muss 15 Jahre halten und reparaturfreundlich sein.
Bekleidung sollte die Näherin ernähren und muss zu 100% recycelbar sein u.s.w.
Der Käufer zahlt bei Onlinehandel, je nach grösse des Paket ab 8€ Umeltsteuer.
Von solchen Maßnahmen würde die Umwelt, Einzelhandel profitieren und der Fachkräftemangel
ist somit auch vorbei. Gruß Jens.